Montag, 28. November 2011

Alle tot. Eine Lesung mit Antonia Michaelis

Autofahren kann eine schöne Sache sein, vor allem wenn man gerade eine Trilogie zum Abschluss gebracht hat. Na ja, in diesem Fall zumindest die Rohfassung, aber das ist doch auch schon mal was. Der letzte Satz klingt noch nach, als ich den Motor starte. Daran wird sich noch eine Weile nichts ändern, denn er wird vermutlich nicht der letzte Satz bleiben. Da muss ich noch mal ran, grüble ich. Ein Ende zu schreiben, hat ja etwas Befreiendes, aber man läuft halt auch Gefahr, sich von der Geschichte befreien zu wollen. Deshalb heißt es in den nächsten Wochen: lesen, polieren, umschreiben, noch einmal lesen, sich eingestehen, dass dieser Abschnitt Schrott ist, schrauben, basteln, anpassen etc.
Jetzt ist aber erst mal Freitagabend und mein einziger Job besteht darin, den letzten Satz aus meinen Kopf zu bekommen und anständig Auto zu fahren. Draußen ist es stockfinster, ich drehe die Musik lauter und singe mit. Nur leise, wir wollen ja niemanden erschrecken. Die Lesung, zu der es geht, findet in Sarstedt statt. Über Sarstedt kann ich nicht viel sagen, weil es dort ebenfalls ordentlich dunkel und vor allem menschenleer ist. Ähnliches gilt – Gott sei dank - nicht für den Lesungsraum, der aussieht wie ein kleines leerstehendes Geschäft, das jemand mit Stoffbahnen, Kerzen und einem roten Sessel in einen Ort verwandelt hat, in dem Autoren Märchen erzählen dürfen und wollen.
Antonia Michaelis liest
Die Märchenerzählerin dieses Abends heißt Antonia Michaelis und kämpft mit der Beleuchtung, sie will während der Lesung nämlich nicht in dem vorgesehenen roten Sessel sitzen. Was das genau bedeutet, wird das werte Publikum schon einige Minuten später herausfinden. Nix mit „Wir machen es uns jetzt mal richtig hübsch kuschelig und gemütlich, ist ja schließlich eklig kalt draußen vor der Tür“. Nee, Antonia sagt was zum Cover des Romans (Mädchen außen drauf, innen drinnen weg, hinten eine Schusswaffe – was bedeutet das, mh?), sagt, dass sie von oben rechts auf der Landkarte kommt, sagt dann noch rasch ein paar andere Dinge, die ich verpasse, weil ich einen Schluck Rotwein nehme. Das halbe, autofahrerfreundliche Glas – nicht dass sich hier jemand Sorgen macht.
Dann legt sie los, wortwörtlich, mit dem „Märchenerzähler“ in der Hand, stehend, jeden Satz mit Gesten untermalend, und mit einer Stimmgewalt, die wie geschaffen ist für große Theatersäle, aber einen Raum mit gut fünfzehn Leuten regelrecht überrollt und das Brummen des Heizlüfters locker an die Wand spielt. Aus meiner Sicht ist das Ganze ein wildes Schattenspiel, die in Schwarz gekleidete Autorin mit ihrer Ausdrucksfreude und dem gleißenden Lampenlicht, das ihren Umriss entweder hart umkränzt oder mich blendend. Erwartet irgendwer derartig viel Smackes bei einer Autorenlesung? Öfter mal was Neues, denke ich mir. Denn die letzten Lesungen, die ich besucht habe, waren vom Ton her eher zurückhaltend und zuhörerverbraucherfreundlich gestaltet. Bei Antonia ist das anders, da wird nicht nur die imaginäre Zigarette weggeschnipst, sondern auch das R ganz klassisch gerollt und betont, betont, betont. Spätestens, wenn sie das Wort Blut dicht vor einem stehend ausstößt, dass man ein Echo zu hören glaubt, zuckt die erste Reihe kollektiv zusammen und spinnt fleißig Fluchtszenarien, falls die Sache außer Rand und Band gerät.
Während Antonia den Prolog vorträgt, frage ich mich, wer von uns beiden länger durchhält: sie diese enorme Intensität oder ich mit meinem halben Glas Wein. Zumindest hat sich der letzte Satz der „Schattenschwingen“ verabschiedet und das finde ich großartig.
Langsam überwinde ich meine Verblüfftheit und wundere mich ein wenig über mich selbst. Ich kenne den Roman, aus dem vorgetragen wird. Und Romane verraten stets einiges über ihre Aufschreiber. Habe ich also ernsthaft erwartet, diese Frau Michaelis würde mit überschlagenen Beinen im Sessel sitzen und uns schüchtern durch Anna & Abels Geschichte führen? So etwas passiert einem doch nur, wenn man in einer beschlagenen Seifenblase lebt. Ich entspanne mich also zunehmend und vielleicht entspannt sich die Autorin auch, jedenfalls wird es immer leichter, mich auf ihren Lesungsstil einzulassen. Bei einer Sache bin ich mir allerdings schon nach dem zweiten Kapitel sicher: nach diesem Rausch wird Katerstimmung herrschen. Und das liegt dann nicht nur am theaterreifen und sehr fordernden Vortrag, sondern auch am Text selbst, der einen mitreißt und beschäftigt, bei mir nach über einem halben Jahr noch.
Das Durchhalten wird übrigens durch eine Pause erleichtert, in der es Kakao und Pfannkuchen passend zum Roman gibt - die Veranstalterin Claudia Duval vom Koxinel weiß, wie man Zuhörerinnen glücklich macht ... okay, einen Zuhörer gab es auch. Und da sehe ich es: das Leuchten der Zuhörerschaft. Die anfängliche Verstörung ist in Begeisterung umgeschlagen und der Zucker tut sein übriges. Das ist schon eine feine Sache, denke ich, dass wir uns mitnehmen lassen, obwohl wir erst einmal zurückhaltend reagieren, wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt werden. Und davon kreisen ja zur Zeit viele um Romane herum, viele Leser haben ja schon einige wegkonsumiert und Lesungen besucht, sodass ihnen ihre Erwartung zuflüstert „Ich weiß ganz genau, was wir beide mögen, wir wollen uns wohl und gut aufgehoben fühlen und bitte nicht aufgefordert werden, uns auf etwas Unbequemes einzulassen“. Wie gut, wenn einem dann mal nichts anderes übrigbleibt, weil man an der Autorin vorbei müsste, um zum Ausgang zu gelangen. Und die hatte doch vordem Blut so gänsehautmäßig ausgesprochen ...
Antonia Michaelis liest immer noch
Mit vollem Bauch und innerlich gestählt für die zweite Runde, geht es heiter weiter, bis die zwei Stunden Lesung voll sind. Ein Rekord, jedenfalls auf meiner Liste. Und dann die berühmte Frage „Gibt es Fragen?“. Jede Menge, aber sie wollen nicht recht aus einem heraus, jedenfalls nicht aus mir, und auch um mich herum wirken die meisten selig, verliebt, aber auch proppevoll mit Eindrücken. Da lässt man sich dann lieber das eigene Exemplar mit bunten Stiften bemalen und freut sich als Autorin auf die Rückfahrt durch die Nacht, wenn zwar der reinste Stimmentrubel im Kopf herrscht, aber keine davon einer eigenen Figur gehört. Es ist fast wie white noise.


Sonntag, 6. November 2011

„Stille Nacht“ – das magische Gewinnspiel


6 Autorinnen, 6 Geschichten und ein Gewinnspiel bis zum 6.12., bei dem es je ein Exemplar von 6 „Stille Nacht“-Anthologien zu gewinnen gibt.




Tanja Heitmann, Gesa Schwartz, Anika Beer, Michaela F. Hammesfahr, Nora Melling, & ein „special guest“ laden zu einer winterlichen Reise durch Zeichnungen, Gedichte oder auch Szenen ein, die mit ihren Geschichten aus „Stille Nacht“ verbunden sind. Außerdem treiben sich Weihnachtswichtel herum und geben ein verspieltes Zahlrätsel auf. Wer die Zahl herausfindet und sie bis zum 6. Dezember 2011 an stille-nacht-verlosung@gmx.de schickt, kann an der Verlosung teilnehmen.


Und hier startet unser Weihnachtswichtelrätsel: 10 kleine Weihnachtswichtel liefen durch den winterlichen Wald Finnlands, wo sie zwischen den Baumriesen und umringt von Schnee ein Liebespaar sahen. Gebannt blieben sie stehen, bis das Paar aus ihrer Sicht verschwand. Als sie ihre Reise fortsetzen wollten, steckten zwei bis zur Nase im Schnee fest. Da waren es nur noch  ... ein paar Übrige. Und die machten sich auf zur Homepage von Anika BeerViel Glück!


Wer Lust auf einen Vorgeschmack auf meine Geschichte "Eine Spur von Rot" hat, findet sie hier - keine Angst, sie ist spoiler- aber nicht vampirfrei ;-)



Eine Szene in Rot


von
Tanja Heitmann


Finjas stand am Fenster und blickte auf die Straße hinab.
Dort sah er nichts als Leere, obgleich reges Treiben herrschte.
Jetzt, zur dunkelsten Stunde, waren sie unterwegs, gingen ihren Geschäften und Vorlieben nach und bevölkerten diese bei Tag ausgestorbene Stadt. Denn das Licht der Sonne offenbarte, was sie wirklich waren: unvollständige Geschöpfe, denen nur ein halbes Leben in der Dunkelheit zustand. Wie schon so oft malte er sich aus, wie er zur Mittagsstunde durch verwaiste Straßen schlenderte, die von herbstlich schimmernden Baumkronen gesäumt wurden, deren Farbspiel er lediglich von künstlichem Licht belebt kannte. In seinem Tagtraum waren die hektischen Schritte der Passanten verklungen, genau wie ihre tausend Gerätschaften, die der Nacht die Stille raubten. Bei Tag hingegen herrschte Vogelgesang - und jetzt im Herbst nicht einmal das, so malte es sich Finjas zumindest aus. Eine kitschige Vorstellung, aber er brauchte sie, er hielt sich an ihr fest.
Derlei Gedanken gingen Finjas schon seit einiger Zeit durch den Kopf, hatten sich mit dem Schneetauen zu Jahresbeginn zu ihm gesellt, hatten dem Frühlingserwachen seinen Zauber geraubt und den Sommer an ihm vorbeiziehen lassen. Seit der Herbstwind durch die Straßen wehte, erwachte er endlich aus seiner Lethargie, aber nicht um festzustellen, dass es ihm besser ging. Im Gegenteil, er erkannte seine aussichtlose Lage klarer denn je. Das, was ihm die Stadt zu bieten hatte, interessierte ihn nicht. Er wollte nicht hinausgehen und so tun, als würde er leben, obwohl er nur ein Schatten unter Schatten war. Ein Vampir ohne ein Ziel vor Augen, ohne eine ernstzunehmende Aufgabe, ohne einen Funken Leben in seiner Brust.
„Wahnsinn, da lasse ich dich fünf Minuten allein und – schwups - hat sich was verändert! Du guckst ja gar nicht mehr trübe aus der Wäsche, mein Freund. Ist da draußen was Spannendes passiert? Obwohl ... Moment ... dieser Ausdruck gefällt mir auch nicht wirklich. Verdammt. Dabei warte ich schon seit Wochen wenn nicht seit Monaten darauf, das er sich ändert. Und nun das: eine verbitterte Miene. Ich vermute mal, aus der Party in den frühen Morgenstunden wird heute nix.“
Rascal war neben ihn getreten, die Hände in den Hosentaschen. Alles ganz entspannt, ein lockerer Plausch unter Freunden. Doch sie kannten sich zu lange und zu gut, um sich gegenseitig etwas vorzumachen. Finjas schenkte ihm ein angedeutetes Grinsen über das spiegelnde Fensterglas, mehr war nicht drin.
Hinter ihnen ertönten das Knatschen schwerer Boots.
„Großartige Idee, Rascal. Wir ziehen mit einem verzweifelten Vampir los und scheitern am Türsteher, weil Finjas kurz vor dem Eintritt ins Paradies anfängt, eine Ansprache über die Leere in unser aller Leben zu halten. Mir dröhnt noch seine letzte Rede durch den Kopf“, zischte Ley ihm ins Ohr. Dabei roch er die bittere Note in ihrem Atem, die verriet, dass sie schon mehr getrunken hatte, als gut für sie war. „Das war der beschissenste Ausklang einer Nacht, den ich je erlebt habe.“
Rascal lacht. „Ja, genau, weil sie letztlich Finjas reingelassen haben, und du draußen bleiben musstest. Auf seine Depri-Art ist er eben unwiderstehlich.“
„Unwiderstehlich ... kein anderes Wort passt besser zu Finjas, soviel steht fest.“
Diese Stimme besaß eine eigene Macht über Finjas, wie sie samtig und doch voller Zurückhaltung durch den Raum klang. Gegen seinen Willen drehte er sich um und musterte Alissa, die im Türbogen stehen geblieben war. Sie war ein hellstrahlender Traum, wunderschön. Und doch wusste er, dass auch sie von einer Kälte erfüllt war, wie sie ihnen allen zueigen war. Vor ihnen lag die Unendlichkeit, auch wenn sie gerade ihre ersten Schritte in die Unabhängigkeit setzten, jung, wie sie für Vampire waren. Aber das Wissen, dass ihnen unzählige Jahre zur Verfügung standen, machte sie zu Hüllen, denn nichts, was geschah oder welche Entscheidung sie fällten, zählte angesichts ihrer unbefristeten Zukunft. Ihr gesamtes Miteinander war nicht mehr als ein unterhaltsames Spiel und jeder einzelne darin war eine austauschbare Figur. „Sieh es ein, wir passen eben nicht zueinander“, flüsterte Alissa in einer Erinnerung. „Aber deshalb muss doch keiner von uns beiden eine Träne vergießen, schließlich wir haben die Unendlichkeit vor uns, um herauszufinden, wer wir sind und was wir wollen.“
In dieser Hinsicht war Finjas ihnen einen Schritt voraus: er wusste jetzt, wer er war, nämlich eine Niemand. Und er wusste, was er nicht wollte, nämlich weder Alissa noch einen anderen Schatten.
Ohne zu zögern – so, wie er es zuvor viele Jahre lang getan hatte - erwiderte er Alissas Blick. Warum auch nicht? Als sie vortäuschte, sich das helle Haar zurückzustreichen, damit sie ihn nicht länger ansehen musste, ließ es ihn unberührt.
„Ich schlage vor, wir brechen allmählich auf. Und da wir uns heute ausnahmsweise einmal amüsieren wollen, bleibst du bei deinem Fenster stehen und passt auf, dass niemand die Straße klaut.“
Die Angriffslust hinter Alissas Worten überraschte Finjas, dann musste er den Kopf schütteln. Schließlich war sie es gewesen, die die Distanz zwischen ihnen eingefordert hatte, als ihr bewusst geworden war, dass er mehr forderte, als sie zu geben imstande war. Dinge wie Wärme ... Vertrauen ... und eine Verbundenheit, die nicht beliebig aufgelöst werden konnte.
„Grüß den Türsteher von mir, dann lässt er euch auf jeden Fall ein“, sagte er mit einem Achselzucken, bevor er sich wieder der Aussicht zuwendete. Draußen hatte der Herbst sämtliche Blätter der Allee zu Boden gezwungen, bald würde der Schnee sie bedecken. Eine friedvolle Vorstellung.
Alissa schnaufte. „Als ob ich deine Hilfe brauchen würde, um in einen Club zu kommen.“ Trotzdem schwang eine unüberhörbare Unsicherheit mit.
„Zur Hölle, Finjas. Was macht es für einen Unterschied, ob du hier stehst oder mitkommst?“ Rascal packte ihn am Ellbogen, unsicher, ob die Nähe erwünscht war. Finjas war zuletzt nicht sonderlich zugänglich gewesen. „Außerdem ... wenn man erst mal da ist und es ordentlich krachen lässt, läuft es wie von allein.“
„Und wenn nicht, dann habe ich hier eine kleine Starthilfe.“
Leys Lachen klang wie Schleifpapier auf Finjas sensible Sinne. Dann drang ein glucksendes Geräusch zu ihm durch, dass ihn alles andere vergessen ließ. Ley hielt eine Blutkonserve in der Hand, eine ohne Banderole, also irgendein undefinierbares Zeug vom Schwarzmarkt, auf das sie so abfuhr. Geschickt fing er es auf, als sie ihm die Konserve zuwarf, und setzte eine paar Schritte in den Raum. Dieses scharlachrote Elixier war gut, verdammt gut, wenn man nichts anderes wollte, als abzudriften. Die Vorstellung war verführerisch, zweifelsohne. Ein Großteil ihrer Gattung schwörte darauf, dass es der beste Weg war, um die Unsterblichkeit durchzustehen. Benommen, nicht Herr seine Sinne und Wünsche.
„Was soll’s, dann pfeif Dir das Dreckszeug eben rein, wenn es nicht anders geht.“ Rascal sah unzufrieden aus, denn er mochte die Schwarzmarktkonserven nicht. Warum auch? Ihm ging es auch so blendend, es sei denn sein bester Freund schwelgte in Depressionen.
Finjas wog die Konserve in seiner Hand, sie fühlte sich kalt und künstlich an. Das exakte Gegenteil von dem, wonach er sich sehnte. Bevor er den Entschluss überhaupt gefasst hatte, warf er die Konserve mit aller Kraft gegen das Fenster, das zerbrach. In einer Bruchstelle blieb der Plastikbeutel hängen, wurde aufgeschlitzt und ergoss seinen Inhalt über das heile gebliebene Glas. Färbte die Welt rot ein.
Das Rot zündete eine Idee hinter seiner Stirn.
Unwillkürlich schloss Finjas seine Augen und dachte an Schnee, an weiße, spurenlose Reinheit, an eine weiche Decke, die sich über alles legte und es dämmte und schließlich zum Schlafen brachte, bis es endlich Zeit war, sich zu erheben und das Gesicht der Sonne entgegenzuhalten. Dorthin würde er gehen, in ein Reich aus Schnee, dort würde er darauf warten, dass das Leben für ihn endlich anbrach.
Während dieser Entschluss in ihm reifte, achtete er nicht auf seine Freunde, die zuerst wild durcheinanderredeten und an ihm herumzerrten, um dann leise zu werden und schließlich zu gehen. Erst als er alleine war und er sich sicher sein konnte, dass niemand etwas von seinem Tun mitbekam, ging er ebenfalls.
Endgültig.

Wohin Finjas geht und was ihn dort erwartet, erfahrt Ihr in der Geschichte „Eine Spur von Rot“ in „Stille Nacht“.

Donnerstag, 3. November 2011

Interview mit Annina Braunmiller

Ich hatte es ja schon vor längerer Zeit angekündigt, heute ist es endlich soweit: Mein Interview mit Annina Braunmiller, die u.a. die Stimme des „Traumsplitter“-Hörbuchs ist. Here we go!


Hallo Annina, schön, dass ich Dir ein paar Löcher in den Bauch fragen darf, darauf habe ich mich sehr gefreut. Magst Du Dich zuerst aber erst einmal kurz vorstellen?


Aber gern – mein Name ist Annina Braunmiller und ich habe das unwahrscheinliche Glück von meinem Traumberuf leben zu können! Ich arbeite als Synchronsprecherin für diverse Filme und Serien und manchmal habe ich auch noch die Gelegenheit selbst auf der Bühne zu stehen (nicht mehr sehr oft, aber das liegt daran, dass ich als Sprecherin so viel zu tun habe – und da mich das sehr glücklich macht, ist das gar nicht schlimm!). Außerdem spreche ich voice-over für verschiedene Formate und darf immer wieder mal ein Hörbuch einlesen, was ich besonders gern mache!



Wie sah denn Dein Weg zu diesem spannenden und auch außergewöhnlichen Beruf aus?

Wie so viele Kinder wollte auch ich schon immer Schauspielerin werden. Und wie so viele Eltern, fanden auch die meinen, dass das eine sehr brotlose Kunst sei, von der zu leben fast unmöglich ist. Aber ich wollte diesen Traum nicht ganz aufgeben und habe mich deshalb mit 18 Jahren an meiner Wunsch-Schule, der Stage School in Hamburg beworben. Und zur allgemeinen Überraschung haben die mich dort tatsächlich angenommen! Darauf folgte eine dreijährige Musicalausbildung an deren Ende ich die glanzvolle Berufsbezeichnung „staatlich anerkannte Bühnendarstellerin für Gesang, Tanz und Schauspiel“ erlangen konnte.
Nach der Ausbildung hat mich das Heimweh zurück nach Bayern geführt, wo ich erst ein paar Schauspieljobs hatte und unter anderem für das ZDF-Showballett tanzte, sowie mit einer Musicalgala auf kleiner Tour war. Nebenbei begann ich mit dem Synchronsprechen, wo ich recht schnell Fuß fassen konnte, so dass sich immer mehr herauskristallisierte, dass die Sprecherei genau „mein Ding“ ist. Nach ein paar Monaten bekam ich dann meine erste Hauptrolle in einem Disney-Film und nur wenig später hatte ich das große Glück den ersten Twilight-Trailer synchronisieren zu dürfen. Von da an ging es stetig aufwärts – nach dem großen Erfolg des ersten Filmes sprach mich der Hörbuch Hamburg Verlag an, ob ich Lust hätte, den ersten Twilight-Band als ungekürztes Hörbuch einzulesen. Und ob ich Lust hatte! Phantastischerweise kamen danach noch einige weitere Hörbuch-Aufträge, so dass ich auch in dieser Branche etwas Fuß fassen konnte. Und zack, waren vier Jahre rum.


Du arbeitest auch als Schauspielerin. Inwiefern profitieren Deine beiden Jobs voneinander?

Sehr! Bei der Sprecherei ist es von großem Vorteil, wenn man einen Schauspielhintergrund hat, da man sich so leichter in die jeweilige Rolle hineinversetzen kann. Man hat gelernt, die Stimme als „Werkzeug“ zu benutzen und richtig einzusetzen. Und Spielfreude ist eine Grundvoraussetzung für die Sprecherei. Gerade bei Hörbüchern ist man ja ganz auf sich allein gestellt und muss die unterschiedlichsten Figuren zum Leben erwecken. Da sitzt man vor dem Mikrofon und spielt die Situationen richtig!
Andersrum profitiere ich auch beim Spielen davon, dass ich meine Stimme jetzt bewusster wahrnehme/einsetze, da man so Emotionen noch verstärken und besser rüber bringen kann!


Wie bereitest Du Dich auf eine Sprecherrolle vor?

Das ist ganz unterschiedlich.
Beim Synchron weiß man oft vorher nicht, was man gleich im Studio aufnehmen wird. Da bereitet einen dann der Regisseur vor, in dem er dem Sprecher seine Rolle/die Hintergründe genau erklärt. Bei einer großen Rolle ist es ein bisschen anders, da sieht man sich meistens vorab den jeweiligen Film an, so dass man weiß, was einen erwartet.
Bei voice-over/Werbung erfährt man ebenfalls erst im Studio, was man heute spricht und muss sich dann auf die jeweilige Situation einstellen (Werbung für Knetmasse klingt logischerweise ganz anders, als Werbung für einen IT-Konzern).
Bei Hörbüchern ist die Vorbereitung wesentlich umfangreicher – da bekommt man den Text vorab und kann sich gezielt vorbereiten; aber auch da arbeitet jeder anders. Bei mir sieht das so aus, dass ich das jeweilige Buch erst ungekürzt lese (die meisten Hörbuchproduktionen sind gekürzte Lesungen) um die Handlung und die Charaktere bestmöglichst zu verstehen. Wenn ich dann den Text vom Verlag bekomme, beginnt der bunte Teil meiner Arbeit – dann arbeite ich das Manuskript durch und leuchte die komplette direkte Rede in unterschiedlichen Farben; jede Hauptfigur erhält ihren eigenen Leuchtstift (bei „Traumsplitter“ war das z.B. Gelb für Ella, Türkis für Gabriel, Rot für Bernadette…) wobei ich versuche eine passende Farbe zum jeweiligen Charakter auszuwählen. So weiß ich beim einlesen sofort, welche Figur gerade spricht und kann mich stimmlich anpassen…


Ist es für Deine Arbeit wichtig, dass der Text Dich überzeugt?

Sagen wir mal, es hilft… Aber im Idealfall hört man hinterher nicht, was ich persönlich von dem jeweiligen Werk halte, schließlich versuche ich ja professionell zu arbeiten. Doch natürlich macht es mehr Spaß eine Rolle zu sprechen/ein Buch einzulesen, dass mir persönlich etwas bedeutet!!


Gab es schon einmal eine Synchro-Situation, die so gar nicht hinhaute?

Natürlich klappt nicht immer alles reibungslos. Sei es, dass man sich einer Figur anpassen muss, die einem nicht so liegt (gerade beim Synchron gibt es Schauspieler, die einen ähnlichen Rhythmus haben, wie man selbst und solche, die komplett anders reden, wo es dann viel schwieriger wird, dass Synchron hinzukriegen). Ich musste z.B. mal für eine Zeichentrickserie ein Baby synchronisieren; da guckt man im Studio dann schon mal kurz blöd aus der Wäsche – aber auch das geht irgendwie.
Oder aber die äußeren Umstände meinen es nicht gut mit einem…bei der Synchronisation des Filmes „Eclipse – Bis(s) zum Abendrot“ habe ich z.B. am ersten Aufnahmetag fürchterlichen Heuschnupfen gehabt! Es ist nicht ganz leicht, romantische Gefühle aufkommen zu lassen, wenn mein Kollege Johannes Raspe (die Stimme von Edward) ein „Heirate mich, Bella“ haucht und alles was ich denken kann ist „Nicht auf’s Mikro rotzen!“. Und dann lief da irgendwas mit den Medikamenten schief…nach ein paar Stunden klang ich so verschnupft, dass wir irgendwann abbrechen mussten. Und im Nachhinein kann ich mich an 60 Takes, die ich an diesem Tag aufgenommen habe, einfach nicht mehr erinnern. Da saß ich dann später im Kino und dachte mir „Ach guck mal, dass hast du alles gesagt?!“


Welchen Roman würdest Du gern einlesen oder welche Figur sychronisieren?

Ui, ganz schwierige Frage!!
Viele meiner Lieblingsbücher gibt es bereits als Hörbücher, die kann ich also leider gar nicht mehr einlesen…aber vielleicht wird ja mal ein Jane Austen Roman neu aufgenommen, da melde ich mich freiwillig!
Im Synchron würde ich mir wünschen, Kristen Stewart als Schauspielerin zu behalten, da ich sie mittlerweile sehr gut kenne und mich dabei wohlfühle, sie zu sprechen. Da gibt es aber noch andere Schauspielerinnen, die ich gern mag und hoffentlich noch öfters sprechen darf!
Bei den Simpsons würde ich gern mal mitmachen, bei Star Trek (yup, bin ein bekennender Trekkie) und im „Kleinen Hobbit“ (auch wenn’s da quasi keine Frauen gibt). Ansonsten lass ich mich überraschen, was noch so alles kommt – solange ich arbeiten darf, bin ich glücklich!


Wirst Du dem „Sprechen“ treu bleiben?

Auf jeden Fall!!!! Ich liebe die Sprecherei in all ihren unterschiedlichen Formen und fühle mich dabei stets aufs Neue gefordert und gerade bei Hörbüchern kann man „etwas Eigenes“ kreieren, was ein tolles Gefühl ist. Für mich ist mein Beruf sehr erfüllend und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das so bald ändern wird…


Vielen Dank, liebe Annina, für dieses klasse Interview. Es ist wirklich spannend, einen Einblick in diesen erstaunlich kreativen Job zu bekommen. Und ich drücke Dir fest die Daumen, dass wir Deine Stimme nicht bloß noch oft zu hören bekommen, sondern auch Deine Wünsche Wirklichkeit werden. Wer Babys spricht, bekommt auch einen Zwerg hin!


Lieben Dank auch an Heinke, die beim Fragenaustüfteln mitgeholfen hat.