Donnerstag, 22. Dezember 2011

Nach "Eine Spur von Rot", Teil 1

Weihnachten steht unmittelbar vor der Tür und da mich die Geschichte von Michal & dem Vampir Finjas aus der „Stille Nacht“-Anthologie immer noch nicht loslässt, gibt es als kleine Bescherung jetzt eine Fortsetzung der Kurzgeschichte, während es in meinem Blog-Eintrag vom 6.11.2011 die Vorgeschichte gibt. Wer „Eine Spur von Rot“ noch nicht gelesen hat, sollte übrigens lieber warten, bis er sie kennt, ansonsten verdirbt er sich die Spannung!

Ich wünsche Euch viel Vergnügen beim Lesen & eine wunderbare Weihnachtszeit,
Eure Tanja


Die Spur im Schnee


Michal streichelte behutsam durch Finjas feines Haar. In ihrem Unterschlupf unter einer Anhöhe war es stockdunkel. Während ihre Finger die Wellen erspürten, die es warf, stand ihr die Farbe seines Haars trotzdem lebhaft vor Augen: ein warmes Karamell, das im Licht des Ofens geschimmert hatte. Es hatte ganz lebendig ausgesehen, genau wie die Röte, die sich auf seinen Wangen abgezeichnete, als sie sich angekleidete. Wie lang war das her? Nicht mehr als in paar Stunden und doch war es in einem anderen Leben gewesen. Und jetzt fühlte er sich auch warm an, strahlte förmlich vor Hitze, sodass auch sie in dieser langen Winternacht nicht fror, solange sie an ihn geschmiegt blieb.
Ich wünschte, ich könnte Großmutter davon erzählen, dass sie weder leblos noch kalt sind, dachte Michal. Aber vermutlich würde sie mir nicht einmal dann glauben, wenn sie Finjas auf die gleiche Art erlebte wie ich. Die alten Geschichten, die wir uns seit Generationen über die Vampire erzählen, sind zu stark, sie erscheinen echter als die Wirklichkeit. Vermutlich hätte Michal ihre Meinung ebenfalls nicht geändert, wenn die Geschicke der Nacht sie nicht dazu gezwungen hätten. Wer käme auf die Idee, dass man bei der Erinnerung, wie man ins Eis einbricht, ein Flattern in der Brust verspürt, weil sich der Atem vor Aufregung beschleunigt? Allerdings nicht aus Furcht vor dem schwarzen Wasser, das an einem zieht, sondern wegen der Hände, die nach einem ausgestreckt werden. Es war unfassbar viel passiert, seitdem sie ihre Wanderung durch die Schneeweiten trotz der anbrechenden Dämmerung fortgesetzt hatte. Gut möglich, dass sie deshalb so rasch auf Finjas zugegangen war, weil sie keine Zeit zum Nachdenken gehabt hatte, sondern sich voll und ganz auf ihr Gefühl verlassen musste. Und es war richtig gewesen, bekräftigte Michal ihre Entscheidung, während die mahnende Stimme ihrer Großmutter immer mehr verklang.
„Schläfst du?“, flüsterte sie.
„Ich träume eher.“ Michal ahnte das Lächeln auf seinem Gesicht, das an ihrer Schulter ruhte, nicht unweit der Stelle, an der sie die Speerspitze verletzt hatte. Die Schnittwunde pochte dumpf unter dem provisorischen Verband, den Finjas um ihren Hals gebunden hatte. „So habe ich mich noch nie zuvor gefühlt, ganz wach und doch benommen zugleich. Ich würde zu gern wissen, ob es daran liegt, dass ich von dir getrunken habe.“
Bei der Vorstellung, wie sie, noch geschockt vom Kampf, den schwer verletzten Finjas an sich gezogen hatte, verlagerte sich das Flattern von ihrer Brust in den Bauch. Dann kam ihr in den Sinn, dass ihm ihre Aufregung keineswegs entging, so nah, wie er ihr war. Aus dem Flattern wurde ein ausgewachsener Flügelschlag.
„Bestimmt liegt es daran, dass dein Körper kein Menschenblut kennt“, antwortete sie ausweichend.
Finjas schwieg einen Moment lang, wobei er mit den Fransen ihres Halstuchs spielte. Michal hätte viel dafür gegeben, einen Blick in sein Gesicht zu werfen und herauszufinden, was sich in ihm abspielte. Ihre Sinne waren nicht empfindsam genug, um seinen Herzschlag durch die dicke Winterkleidung hindurch zu erspüren.
„Nein“, setzte Finjas bedächtig an, „eigentlich glaube ich das nicht.“
„Woran liegt es deiner Meinung nach denn dann?“ Michael konnte nichts dagegen tun, dass sich ein Schwanken in ihre Stimme schlich.
Doch sie wartete vergeblich auf seine Antwort.
Ein Beben ging durch Finjas Körper und er stöhne kaum hörbar auf.
„Der Tag bricht an.“ Die Worte schienen ihm Kraft zu kosten. „Nur noch wenige Augenblicke und ich werde einschlafen. Dagegen kann ich nichts tun, ganz gleich, wie lebendig ich mich an deiner Seite fühle.“
Michal schluckte. In ihrer Welt nannte man den Zustand, in den die Vampire den Tag über verfielen, nicht Schlaf sondern Tod. Und in der Nacht lebten sie nicht, sondern raubten Leben, um zu wandeln. „Es sind nur wenige Stunden, bis die Sonne wieder untergeht. Gewiss wird sie nicht einmal richtig zu sehen sein.“
„Was wirst du während dieser Zeit tun?“
„Darauf warten, dass du wieder ... erwachst.“
„Das wäre nicht richtig.“ Finjas Stimme klang schleppend und rau, als würde der Schlaf ihn bereits übermannen. Nach einem kurzen Zögern legte Michal ihre Hand auf seine Wange und spürte merklich, wie ihn das Leben verließ. „Du brauchst Essen, du brauchst ... Wärme.“ Dann verstummte er und zog sich von ihr zurück.
Hastig griff Michal nach ihm, wollte ihn wieder an sich ziehen. Als sie seinen Körper jedoch zu fassen bekam, verstand sie, warum Finjas sie freigegeben hatte: er war erstarrt. Würde er sie in diesem Zustand umarmen, wäre es ihr unmöglich gewesen, sich seinen Armen zu entwinden. Zu gern hätte sie ihn gefragt, ob er auch träumte, aber das konnte sie ja später tun. Nichts hielt sie davon ab, schließlich hatte sie beschlossen, bei ihm zu bleiben. Ein Mensch und ein Vampir in den endlosen, von Schnee bedeckten Wäldern.
Michal schlang die Arme um sich, denn jetzt, da Finjas sie nicht länger wärmte, drang die Kälte zu ihr durch. Schon nach kurzer Dauer begannen ihre Glieder steif zu werden und der dunkle Unterschlupf verlor zunehmend an seiner Gemütlichkeit. Schließlich gab sie auf und krabbelte dem diesigen Licht entgegen, das durch die Öffnung fiel. Das spärliche Tageslicht, das einen Weg durch die dichte Wolkendecke und die Tannenspitzen gefunden hatte, begrüßte sie. Michal atmete tief ein, obwohl ihre Nase dabei zu brennen anfing, und sah dann ihrem gefrorenen Atem hinterher. Dann reckte sie sich ausgiebig, nahm etwas Schnee auf und verrieb ihn zwischen ihren klammen Händen, bis sie rot waren und kribbelten.
In den letzten Stunden war Schnee gefallen und hatte ihre Spuren verdeckt. Das war gut, so würde niemand herausfinden, was genau in der letzten Nacht passiert war und auch nicht, wohin sie gegangen waren. Erleichterung überkam Michal, aber noch eindrucksvoller war der Hunger, den sie schlagartig wahrnahm und der sie an etwas erinnerte: an die Dinge, die sie im Korb mitgebracht hatte ... sie hatte sie zurückgelassen. Es gab also nichts für sie zu essen, außerdem verriet der Korb mehr über die vergangenen Ereignisse, als ihr lieb war.
Michal fasste einen Entschluss. Sie würde an den Fluss zurückkehren und alle Spuren beseitigen. Soweit ihr das möglich war, inspizierte sie ihre Kleidung auf Blutspuren, doch durch den dunklen Stoff war nichts zu erkennen und das Tuch, das ihre Halswunde bedeckte, war ohnehin rot. Vorsichtshalber rieb sie ihr Gesicht noch mit Schnee ab, dann machte sie sich auf den Weg, sich die Umgebung des Unterschlupfs, indem Finjas lag, sorgsam einprägend. Mach dir keine Sorgen,  selbst wenn du den Weg nicht rechtzeitig zurückfindest, wird er dich finden. Du kannst ihm nicht mehr verloren gehen.
Bis zum Fluss dauerte es länger als sie gedacht hatte. Sie war erschöpft und der Hunger setzte ihr stark zu. Endlich erreichte sie das flink zwischen Eisschollen dahinfliesende Gewässer. Dort lag der Korb unter einer zentimeterdicken Schneeschicht und Michal musste sich beherrschen, erst einmal alles zu säubern, anstatt eins der Einweckgläser zu öffnen und sich seinen Inhalt in den Mund zu stecken. Als sie soweit war, stellte sie enttäuscht fest, dass das Essen gefroren. Tränen brannten in ihren Augen. Sie war elend müde, durchgefroren und hungrig, außerdem setzte der Schneefall wieder ein. Alles Klagen brachte jedoch nichts, sie musste erst einmal von hier fort. Der Gedanke, was einige Meter von ihr entfernt noch unter der Schneedecke lag, ließ sie nämlich erzittern. So schnell, wie sie ihre Füße trugen, lief sie den Weg durch das Dickicht der Baumstämme zurück, den sie gekommen war.
Mit den Gedanken war Michal längst bei Finjas, als sie die Stimmen hörte.
Menschen! Dort suchte sich eine Gruppe Menschen einen Pfad durch den Wald.
Panisch schaute Michal sich nach einem Versteck um. Man durfte sie auf keinen Fall finden. Bestimmt wollte die Gruppe zum Treffpunkt, an dem sich die weit verstreut lebenden Menschen jährlich zum Weihnachtsfest einfanden. Wo auch sie ursprünglich hingewollt hatte. Beruhigt dich, ermahnte sie sich, als die Stimmen näher kamen. Niemand weiß, dass du hier bist und der Wald bietet guten Schutz.
In diesem Moment schlug ein Hund scharf an, gefolgt von aufgeregten Rufen. Da wusste Michal, dass sie keine Chance hatte, und bliebt stehen, wo sie war. Schon kurze Zeit später brachen Männer zwischen den Bäumen hervor, den geifernden Hund am Strick haltend. Sie trugen Stöcke in den Händen und sahen sie mit aufgebrachtem Blick an, um im nächsten Moment innezuhalten.
„Es ist nur ein Mädchen“, stellte einer von ihnen geradezu enttäuscht fest.
„Wenn du zum Weihnachtsfest willst, läufst du in die falsche Richtung, Kleines“, sagte ein anderer, älterer Mann mit langem Mantel freundlich.
„Das habe ich mir schon gedacht.“ Michal bemühte sich, ihre hörbare Verzweiflung in eine glaubhafte Geschichte zu verpacken. „Ich habe mich verlaufen, ich irre schon seit Stunden umher. Überall sieht es gleich aus und wegen der dichten Wolken ist der Sonnenstand nicht einmal zu erahnen.“
„Na, wie gut, dass wir dich gefunden haben!“ Der Mann lachte, wobei er sie unauffällig von oben bis unten maß. „Dein rotes Halstuch ...“, deutete er. „Mein Sohn Silas wird heute Abend auch auf dem Fest sein, ich stelle dich ihm gerne vor.“
Michal fasst unwillkürlich an ihren Hals. Ihre Großmutter hatte ihr das Tuch in der Hoffung mitgegeben, dass es die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes auf ihre Enkelin lenken würde. Nun verbarg es eine Wunde, die diese Menschen auf keinen Fall sehen durften.
„Komm.“ Der Mann legte einen kräftigen Arm um ihre Schultern und zog sie mit sich. „Sonst holen dich noch die Vampire, ein hübsches kleines Ding wie dich.“
Michal versteifte sich, dann gestand sie sich ein, dass es keine Möglichkeit gab, dieses Angebot auszuschlagen, und folgte dem Mann und seiner Schar. Fort von dem Unterschlupf, wo Finjas lag und nichts davon ahnte, dass sie nun doch getrennt wurden.

Ein vorläufiges Ende ...


Finnland im Schnee

Mittwoch, 7. Dezember 2011

6 Wichtel in der Ziellinie!

Nun haben Anika Beer, Mechthild Gläser, Michaela Hammesfahr, Nora Melling, Gesa Schwartz und ich den Nikolaus-Sack mit der Aufschrift "Stille Nacht" ausgepackt und folgende Wichtel-richtig-Zähler dürfen sich in den nächsten Tagen über ein Paket mit unserer Winteranthologie freuen:


Bianca Scraback
Melanie Reich
Yvonne de Buhr
Madlin Papke
Michaela Mettel
Sonja Klein


Herzlichen Glückwunsch 
einen ordentlichen Leserausch!