Montag, 9. Januar 2012

Schöner Salat


Nun bin ich ja nicht nur Geschichten-Aufschreiberin, sondern gelegentlich auch literarische Agentin und im Fall der Winter-Anthologie „Stille Nacht“ und ihrem Folgeband auch Herausgeberin. Ich lese also einiges, bevor es das Licht der Buchhandlungen entdeckt. Dabei stolpere ich immer wieder über ein Thema, das eher unwichtig, aber deshalb keineswegs reizlos ist. In meinem Fall sogar sehr reizvoll: in bestimmten Situationen kann ich mir den Mund darüber fusselig reden und dabei ganz viel mit dem Zeigefinger in der Luft herumwedeln. Bevorzugt während eines Telefonats, da sieht das wenigstens keiner.
Worum es geht?
Äh, tja ... um die optische Ausgestaltung eines männlichen Protagonisten. Puh, jetzt ist es raus. Bestimmt werden nun einige Augenbrauen hochgezogen („Seltsam, war bei meinen Ork-Gemetzeln noch nie ein Thema“), aber in einem Blog über Schreiben und Erzählen dürfen ruhig einmal abseitige Pfade beschritten werden, die zu solchen Telefonaten zwischen Autorin (genannt A1) und Agentin (genannt A2) führen:

A1: „Ich weiß auch nicht, warum mein Held schon wieder großartig aussieht. Ist für die Story eher unwichtig, schließlich steht die emotionale Zueinanderhinentwicklung der beiden Liebenden im Vordergrund.“
A2: „Also könnte man „umwerfend aussehend“ streichen und ihm stattdessen einen mopsigen Bauch andichten.“
A1: Zögern am anderen Ende der Leitung. „Könnte man ... möglicherweise. Sicher doch. Vielleicht beim nächsten Roman.“
A2: „Hand aufs Herz: findest du nur Männer attraktiv, die klassisch schön sind?“
A1: „Natürlich nicht! So ein Beuteschema ist doch vollkommen affig, in der Realität zählt das Gesamtpaket, ist doch ganz klar. Da wollen alle Sinne angesprochen werden, und nebenbei auch der Verstand. Echte Attraktivität ist eine komplexe Kiste.“
A2: „Könnte man bestimmt super drüber schreiben. Oder es sogar als Herausforderung ansehen: erst mal andeuten, dass der Held gewöhnlich aussieht, und dann durch die Magie des Erzählens die Leserschaft in seinen Bann ziehen.“
A1: „Klingt wunderbar, probier das mal selbst bei deinem neusten Roman aus und sag mir dann, ob es klappt.“
A2 (jetzt auch zur Hälfte A1): „Wieso denn ich? Du hast doch mal wieder diesen Schönling als Helden.“
A1: „Nun tu mal nicht so, Madame. Wie sieht denn dein aktueller Held aus?“ Klopft siegessicher mit den Fingernägel gegen einen hölzernen Gegenstand. Ein Tisch möglicherweise.
A2: Wirft sich in die Brust. „Aber es geht hierbei keineswegs um meinen Roman, sondern um deinen.“
A1: „Versuch ja nicht, dich aus der Affäre zu ziehen. Raus mit der Sprache, was ist das für ein Kerl?“
A1.2: Druckst noch herum, sagt dann leise „Ein heißer.“
A1: „Ha, habe ich es doch gewusst! Ruhig mal an die eigene Nase fassen, bevor du mir einen Helden mit mopsigen Bauch reinschreiben willst. Das mache ich nur, wenn deiner eine Halbglatze bekommt.“
A1.2: Leises Wimmern. „Aber der ist erst Anfang zwanzig.“
A1: „Auch noch jung. Das wird ja immer besser.
A2: Murmelt: „Schöne Kerle sind ein Fluch.“

Ja, schöne Kerle in Romanen sind ein Fluch, besonders für Autorinnen, die mehr im Sinn haben als „Leidenschaft“. Diesen Herren haftet nämlich stets das Vorurteil an, zwar so knackig wie Salat, aber eben auch so fad zu sein. Selbst in sozialkritischen, poetischen oder sonst wie anspruchsvollen Texten schleichen sich Passagen ein, in denen beschrieben wird, wie sich das Sonnenlichte auf seinem silbrig glänzenden Blondhaar bricht (die berühmt-berüchtigte Mischung aus tragischem Helden mit Bombenaussehen ist besonders beliebt).
Übrigens erwischt einen dieser Fluch sogar, wenn man bewusst auf Model-Erscheinung verzichtet und stattdessen schreibt „er war normal groß, hatte mittleres Haar und Augen hatte er auch“. Wenn Leserinnen dann die Figur beschreiben, sieht sie garantiert klasse aus, das passiert von ganz allein und ohne Hokuspokus.
Eine Kehrseite des Schönheits-Beschreibungs-und-Wahrnehmungs-Diktats liegt übrigens darin, wenn es plötzlich heißt „Grüne Funkelaugen kann ich nicht ausstehen, das sieht fies aus. Da stelle ich mir lieber Haselnussaugen vor“. Dann merkt man, dass es mit den Äußerlichkeiten seiner Helden wie mit guten Hollywood-Schauspielern ist: je leerer die Oberfläche, desto mehr kann hineininterpretiert werden. Wenn in meinem nächsten Roman lediglich steht „alles an ihm sah einfach richtig aus“, dann wissen Sie, werter Blog-Überflieger, warum. Es werden Wetten angenommen, dass dies der schönste Held aller Zeiten wird.