Eine der häufigsten Fragen überhaupt, die Autoren zu
hören bekommen, lautet: Warum schreibst du eigentlich?
Vor der Antwort drücke ich mich
normalerweise oder rette mich in Phrasen wie „Weil es Spaß macht“. Stimmt
natürlich, verrät aber nicht die wahre Motivation. Die wichtigen Dinge im Leben
haben in ihrem Ursprung wenig mit fun
und Lustigsein zu tun, sie speisen sich aus tieferen Schichten. Ich liebe
meinen Mann ja nicht deshalb, weil ich mich so gut mit ihm amüsiere. Und der
Garten wird auch nicht gepflegt und gehegt, weil das Unkrautzupfen mir Jubeljauchzer
entlockt. Spaß ist ein netter Nebeneffekt bei Dingen, die man selbst dann nicht
seinlassen kann, wenn der Spaß sich längst verabschiedet hat. So ist das eben
auch mit dem Schreiben.
Allerdings habe ich mir selbst auch lange
Zeit keine Antwort auf diese Frage gegeben. Diese Weigerung lässt sich
wunderbar verpacken in den Aberglauben, dass gute Geister besser im Verborgenen
wirken. Warum einen Gedanken an etwas verschwenden, das plötzlich mit voller
Wucht in mein Leben getreten ist und es seither bestimmt? Ja, warum bloß ...
Einen ersten Verdacht, was es mit diesem
unvermittelt ausgebrochenen Verlangen, eigene Geschichten zu schreiben, auf
sich hat, kam mir mit der Idee zum „Walfischknochen“. Die Geschichte von Ruben
und Arjen war nicht nur so dominant, dass ich beschloss, mich in einem neuen
erzählerischen Wasser zu tummeln. Sondern auch weil ihr zwei Impressionen
vorweggingen, die mich so stark berührten, dass sie mich bis heute mit überwältigender
Intensität anrühren. Eins dieser Bilder habe ich bereits in der Danksagung des
„Walfischknochens“ beschrieben: Ein blonder Junge klettert aus einem Fenster,
durch das die Sonne einfällt, sodass er einer Erscheinung gleicht. Ätherisch,
kaum einzufangen in seiner Leichtigkeit. Er wirft noch einen Blick über die
Schulter und in seinem Gesicht ist dieses Lächeln, das ganz für den Moment
steht, für Unbeschwertheit und Glück. Dieses Bild gibt den Romanauftakt, seinen
Abschluss findet er jedoch in einem zweiten, weitaus eindringlicheren Bild: Der
Junge liegt leblos am Boden. Es ist unwichtig, was geschehen ist, entscheidend
ist die Erkenntnis, dass der Tod den Schlusspunkt setzt. Alles, was diesen
Jungen ausgemacht hat, ist vorbei. Die Erinnerungen werden ihn nicht wieder
lebendig machen, auch das Aufschreiben seiner Geschichte nicht, die gehört nur denjenigen,
die noch am Leben sind. Trotzdem habe ich genau das getan, seine Geschichte
aufgeschrieben. Dabei habe ich mir eingeredet, dass ich es vor allem tue, um
diesen ersten goldenen Moment einzufangen, diesen Augenblick, in dem alles
möglich scheint, den man geradezu schmecken und wie Sonnenlicht auf der Haut
spüren kann.
Es hat noch einen weiteren Roman
gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es der Schlussakkord des
„Walfischknochens“ war, der mich von Anfang an zum Schreiben angetrieben hat. Oder
vielmehr: er hat mich vor sich hergetrieben, regelrecht gejagt. Und ich hatte
geglaubt, ich könnte ihm entkommen, wenn ich mich im Erzählen verliere. Nun,
trotzdem war das Ende das Ende. Hinter dem Schreiben verbirgt sich nämlich
nichts anderes als die alte Angst vorm Tod. Nicht vorm persönlichem Aus, dem
die meisten Menschen ja erstaunlich gelassen entgegensehen. Es ist die
Erkenntnis, dass alles endet, egal wie lebendig es war. Auch blonde Jungen, die
lachen. Natürlich wurde diese Wahrheit schon oft in Worte gefasst, sie klingt
geradezu abgegriffen. Ich bin mir nicht einmal sicher, wie ich auf dieses „Wir
erzählen, weil wir den Tod fürchten“ vorher reagiert habe, vermutlich mit dem
handelsüblichen Schulterzucken, mit dem man Kalenderweisheiten abtut.
In dem „Haus am Fluss“, an dem ich das
ganze Jahr über gearbeitet habe, erzählt meine Heldin Marie, dass sie nach der
Geburt ihres Sohnes lange Zeit unter der Angst litt, sie könnte eines morgens
aufwachen und das Kind tot im Bett liegend vorfinden. Diese Angst war die erste
große Verletzung, die sie im Leben erfahren hat, nicht vergleichbar mit dem
ersten Liebeskummer oder dem Auszug von Zuhause. Es kratzt an unserem
Grundvertrauen, wenn wir begreifen, dass es nicht mehr als einen Zufall
braucht, um ein Leben auszulöschen. Und es kann eben unerträglich sein, mit dem
Wissen, was es nicht mehr gibt, leben
zu müssen. Wir können den Umstand hinnehmen, in seiner Reinheit aber kaum auszuhalten.
Als ich über Maries Angst, ihr Kind zu verlieren, schrieb, fiel mir wieder ein,
wann ich mit dem Schreiben begonnen hatte. Mein Sohn hat ungefähr mit vier
Monaten solange durchgeschlafen, dass ich genug Zeit fand, den Laptop zu öffnen
und Spaß zu haben. Manchmal muss man über ein Dutzend Romane schreiben, um zu
begreifen, was man da eigentlich tut.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen