Dienstag, 14. Juni 2011

Taschentücher und Baldrian

Einen Roman zu schreiben, ist eine großartige und ausgesprochen befriedigende Angelegenheit. Ein Haufen Buchstaben, die eine Welt abbilden, die ansonsten nur im Kopf des Autoren existiert hätte. Garniert mit den Momenten, wenn man beim Schreiben in eine flow gerät, die Sache sich also verselbstständigt und man sich später wundert, welche Wege man in der Geschichte eingeschlagen hat und woher noch einmal diese eine Figur mit dem seltsamen Namen kommt, die so viel Raum für sich in Anspruch nimmt. Das ist alles sehr schön, und wenn ich dann meinen Laptop ausschalte, habe ich stets ein zufriedenes Lächeln im Gesicht.
         So könnte das gern immer sein - ist es aber leider nicht. Denn es gibt da noch etwas anderes, die sogenannten Schreikampfzustände, auch als Überarbeitungsphase bekannt. Die kennt vermutlich jeder, der einmal einen Text geschrieben und anschließend poliert hat. Für Autoren, die ihre Romane mit der Akribie eines Feldzugs planen, ist dieser Arbeitsschritt vermutlich ein Klacks: ein bisschen Lektoratsanmerkungen umsetzen und noch mal nach Tippfehlern suchen. Das war’s!
Tja, bei mir nicht. Wenn ich zu schreiben beginne, habe ich zwar Figuren, Thema und eine ungefähre Wegbeschreibung für die Story im Kopf, bin allerdings jederzeit bereit, sämtliche Pläne über Bord zu werfen und zu tun, was mir die Muse einflüstert. Und sie flüstert mir gerne Dinge zu wie „Das war ja alles ganz toll mit dem Konzept bislang, aber warum machen wir es nicht einfach anders herum? Wäre doch auch ganz spannend“ oder „Ja, klar, Gabriel sollte ein ganz Hinterhältiger werden. Du bist ja auch die Autorin, es ist dein Roman … aber er meint, so sei er gar nicht. Vielleicht denkst du ja mal drüber nach“ Was ich dann auch prompt mache. Und – zack – ist das unter Qualen geschriebene Exposee Altpapier und Gabriel der lässige Typ, der er seiner Meinung nach sein sollte.
         Meine Muse plappert gern und viel, sodass ich im Endeffekt viel und weniger gern überarbeiten muss. Um es professionell auszudrücken: die Anschlüsse müssen stimmen. Damit sie das tun, sitze ich wochenlang über einem Text und grübel und poliere und lese nach und … widerstehe mühsam dem Verlangen, die Löschtaste zu drücken, damit das Elend endlich ein Ende hat. Jedes Mal dasselbe Drama. Soll ja ein anständiger Roman werden, versuche ich mich zu motivieren. „Ich hätte da eine sensationelle Idee im Angebot“, funkt mir die Muse dazwischen. „Du brauchst nur eine neue Datei zu öffnen und sie notieren. Wenn es gut läuft, kannst du ja mal ein paar Zeilen antesten. Nur so zum Spaß. Dieses ewige Überarbeiten ist doch laaaangweilig.“ Das finde ich auch, trotzdem würge ich die Muse ab und starre den Bildschirm mit den Szenen an, die doch eigentlich alle schon geschrieben sind. Reiße mich zusammen, konzentriere mich, bin voll bei der Sache. Vielleicht nicht ganz, denn diese „sensationelle Idee“ klang schon interessant. Und tippen kann ich mittlerweile wie ein Weltmeister. Genau, ich mache ganz rasch, dann schaffe ich beides: neue Idee aufschreiben, alte Idee polieren.
         Geht natürlich nicht, ist schon klar. Mit einem Hintern auf mehreren Hochzeiten tanzen und so. Trotzdem gerate ich jedes Mal in Versuchung. Das Autorendasein ist schon eine traurige Angelegenheit. Zumindest in den Schreikrampfphasen.


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